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Reichtum des Orients. Die Schätze des Aga Khan in Berlin

Von Elke Linda Buchholz

Unscheinbar wirkt das Manuskript mit seinen kreuz und quer übereinander geschriebenen arabischen Schriftzügen, den brüchigen Papierrändern und dem eher nachlässig gezeichneten roten Ornament auf der Titelseite. Es ist die älteste Abschrift des "Kanons der Medizin" von Avicenna, der eigentlich Abu Ibn Sina hieß. Sie entstand im Jahr 1052, nur 15 Jahre nach dem Tod des persischen Arztes. Schon im Mittelalter ins Lateinische übersetzt, wurde der "Qanun al-Tibb" das medizinische Standardwerk für die Ärzte Europas. Auf dem Titelblatt der Handschrift haben verschiedene Besitzer ihre Namen verewigt. Jetzt gehört sie Karim Aga Khan IV.

Er ist das geistliche Oberhaupt der 20 Millionen Ismailiten, einer islamischen Glaubensgemeinschaft, deren Mitglieder über 25 Länder verstreut leben. Ihnen gilt der Aga Khan als direkter Nachkomme des Propheten Mohammed. Der in Frankreich lebende Kosmopolit mit britischem Pass ist zugleich ein moderner Großunternehmer mit einer Leidenschaft für edle Rennpferde und einer der reichsten Männer der Welt. Und er hat eine humanitäre Mission: Er will zur Verständigung der Weltkulturen beizutragen und ein positives, pluralistisches Bild des Islam zu vermitteln. Sein Aga Khan Development Network ist die größte private Entwicklungshilfeorganisation der Welt und finanziert unter anderem Wiederaufbauprojekte in Afghanistan.


Außerdem ist der 1936 in der Schweiz geborene Aga Khan IV. ein leidenschaftlicher Sammler islamischer Kunst. Der Berliner Martin-Gropius-Bau zeigt jetzt eine exquisite Auswahl von über 200 Keramiken, Gemälden, Miniaturen, Goldschmiede- und Schnitzarbeiten aus 1000 Jahren islamischer Kultur. Viele der gezeigten Meisterwerke werfen Schlaglichter auf den Austausch zwischen West und Ost. So stößt man auf einen in feinster arabischer Kalligraphie abgefassten Brief des persischen Kronprinzen Abbas Mirza an Napoleon. Daneben hängt ein Bildnis des Herrschers Fath Ali Shah beim Rauchen seiner Wasserpfeife, im westlichen Stil in Öl gemalt. Keramikkünstler in Syrien fertigten bereits im 15. Jahrhundert blauweiße Arzneimittelgefäße speziell für den Export nach Italien. Eine kostbare blassgrüne Jadeschale aus dem Moghul-Indien des 17. Jahrhunderts trägt das französische Königswappen. Vermutlich ließ Kaiser Jahangir, an dessen Hof auch Steinschleifer aus Europa tätig waren, das fürstliche Gefäß als diplomatisches Geschenk anfertigen. Zweihundert Jahre später gelangte in die Sammlung des Barons Rothschild und erhielt in London eine Messingfassung in Gestalt eines flügelschlagenden Drachen. Hinter jedem der Objekte verbirgt sich eine Geschichte: Sie erst bringt die Objekte zum Sprechen.

Was der Aga Khan sammelt, soll einen Überblick bieten über die Vielfalt islamischer Kulturen von den Anfängen bis ins späte 19. Jahrhundert. Von Raum zu Raum wechseln die Dynastien und Jahrhunderte, Umayyaden, Abbasiden,Timuriden, Safawiden: ein Kurztripp im Schnelldurchlauf durch die islamische Welt, bei dem vieles angerissen wird. Als wollte man die abendländische Kultur vom mittelalterlichen Andachtsbild bis zum Meißener Porzellan in einer Stippvisite vermitteln. Die nüchtern präsentierten Einzelstücke tun sich schwer, ihre Aura zu entfalten. Sie alle haben ihren Kontext verloren, oft muss eine einzelne Säule oder ein holzgeschnitzter Balken mit Koranzitaten eine ganze Kulturlandschaft vertreten.

Einen roten Faden bildet das geschriebene Wort, die Kalligraphie, als Grundpfeiler aller islamischen Kunst. Ganze Prachtkorane sind zu sehen, oder Kostbarkeiten wie die filigrane Goldschrift auf einem Kastanienblatt oder eine einzige Seite des "Blauen Koran", in goldenem Kufi-Duktus auf blauem Pergament geschrieben. Wirklich ins Schwelgen kommt die Ausstellung bei der Buchmalerei. Ihren schönsten Raum widmet sie dem Geburtstag eines vor 1000 Jahren vollendeten Werkes des Weltliteratur, dem persischen Nationalepos "Schahname" des Dichters Firdausi. Mehrere reich illustrierte Handschriften dieses "Königsbuches" sind nicht nur im Original aufgeschlagen, sondern auch vollständig digitalisiert zu sehen. Per Touchscreen kann man in ihnen blättern wie einst der fürstliche Auftraggeber. Ein Klick, und die deutsche Übersetzung erscheint.

Allein schon die fünf ausgestellten Seiten aus dem legendären "Schahname" für Shah Tahmasp lohnen den Besuch der Ausstellung. Ein Dutzend Künstler, Vergolder und Kalligrafen arbeiteten ab 1522 Jahrzehnte an diesem unübertroffenen Meisterwerk islamischer Miniaturmalerei. Das Gros der insgesamt 258 Bildseiten befindet sich heute im Iran. Fünf Blätter konnte ein Onkel des Aga Khan IV. erwerben. Keine Reproduktion kann die wunderbare Feinheit dieser Bilder auch nur annährend wiedergeben. Immer tiefer beugt man sich über die Vitrinen und wünscht sich eine Lupe, um in die edelsteinartig schillernde Welt voller naturalistischer Tiere, bizarrer Felsen, tapferer Helden und weiser Könige einzutauchen. Auf einem Blatt tritt auf blumenübersähter Wiese auch der Dichter Firdausi selbst auf. Eine digitalisierte Online-Version des gesamten, seit den 1970er Jahren in alle Welt verstreuten Codex ist in Vorbereitung, gefördert von der Stiftung des Aga Khan.

Dass auch Moslems, die oft schon seit Generationen in westlichen Gesellschaften leben, den Bezug zu ihren kulturellen Traditionen zu verlieren drohen, hat der Multimilliardär durchaus im Blick. Auch ihnen will sein geplantes Museum als Bildungsinstitution dienen. 2013 wird es in Toronto eröffnet. 85 000 Ismailiten leben mittlerweile im multikulturellen Kanada. Das strahlend weiße Architekturmodell des Japaners Fumihiko Maki, in klaren, modernen Formen entworfen, ist in der Ausstellung zu sehen. Berlin ist die letzte Station der Aga-Khan-Schätze in Europa, nachdem sie bereits im Louvre, in London, Turin und Barcelona gezeigt wurden. In den nächsten drei Jahren touren sie durch die islamische Welt, bevor sie in Toronto ihren dauerhaften Ort finden.


Das geplante Museum für Toronto ist nur ein Baustein in einem weitgespannten Netzwerk kultureller Projekt. In Sansibar, Kairo und Aleppo finanziert der Aga Khan Trust for Culture die Instandsetzung historischer Altstädte. Ein hochdotierter Architekturpreis würdigt innovative Projekte, die nicht nur ästhetisch überzeugen, sondern auch neue Lösungen für soziale und gesellschaftliche Probleme in der muslimischen Welt aufzeigen. Zuletzt wurden die in Lehmbauweise errichtete Schule einer jungen deutschen Architektin in Bangladesh und das gigantische Hochhausprojekt "Petronas Towers" in Kuala Lumpur ausgezeichnet.

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 19. März 2010
© Text und Foto: Elke Linda Buchholz
 

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