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THEATERKRITIK
Bankenstück: Das Geld, die Stadt und die Wut von Lutz Hübner. Uraufführung am Maxim-Gorki-Theater am 20. März 2004. Regie: Volker Hesse. Mit Michael Wenninger, Julian Mehne, Dieter Wien, Thorsten Merten, Ulrich Anschütz, Anna Kubin, Monika Lennartz, Ursula Werner u a.
Aufstand gegen die Bonzen
von Michael Bienert
Revolution in Berlin! Die wütende Bevölkerung hat das Rote Rathaus, den Reichstag und das Kanzleramt gestürmt, die Regierung ist nach Bonn ins Exil geflohen. Auslöser des Aufstands war die Verelendung vieler Bürger, eine Folge der Schuldenkrise der Stadt. Ein Revolutionsrat setzt ein Tribunal ein, das die Verantwortlichen zu Rechenschaft ziehen soll. Es muß aufklären, wie es dazu kommen konnte, dass die Bevölkerung auf einem unvorstellbaren Schuldenberg sitzen blieb, während eine Handvoll Politiker, Bankmanager und Immobilienunternehmer ihre Schäfchen ins Trockene brachte.
Das Bankenstück, das der Autor Lutz Hübner gemeinsam mit dem Ensemble des Maxim-Gorki-Theaters entwickelt hat, greift in ein schwebendes Verfahren ein, denn auch ein Parlamentsausschuss und die Berliner Justiz untersuchen derzeit die dubiosen Geschäfte der Berliner Bankgesellschaft. Zur juristischen Aufarbeitung vermag das Theater wenig beizutragen, wohl aber kann es versuchen, die längst nicht abgeschlossene Geschichte auf ihre moralischen Implikationen zu befragen und zu Ende zu denken. Was passiert, wenn die demokratischen Institutionen versagen und die reguläre Justiz keine Handhabe findet, gegen eine moralisch korrupte Clique von Wirtschaftslenkern vorzugehen?
Das Stück setzt dort ein, wo Rolf Hochhuths selbstgerechte Agitprop-Attacke McKinsey endete: Dort stürmten militante Globalisierungsgegner zuletzt das Bundesverfassungsgericht, am Maxim-Gorki-Theater wirbeln und lärmen sie von Anfang an um das Publikum herum. Die Revolution ist weiblich, an ihrer Spitze stehen Radioagitatorinnen und Revolutionswächterinnen mit grünen Schärpen, die fünf Angeklagte in grauen Anzügen verhören. Als Berliner Schnauze hat Ursula Werner einen furiosen Auftritt: In der Rolle einer alleinerziehenden Sozialhilfeempfängerin läßt sie über die uneinsichtigen Sünder ein wahres Wortungewitter niedergehn.
Während Hochhuth die anarchistischen Globalisierungsgegner pauschal glorifiziert, sind die Revolutionärinnen im Maxim-Gorki-Theater tragische Heldinnen: Sie wissen nicht, wie sie die zunehmenden Plünderungen und Bandenkriege in der Hauptstadt stoppen sollen. Eine Brigade von vier schwarzen Amazonen überfällt die Angeklagten in ihrem Kerker und droht sie anzuzünden, wenn sie nicht preisgeben, wo sie ihre Gewinne aus den Bankgeschäften geparkt haben. Als die totale Anarchie in der Hauptstadt ausbricht, interveniert die NATO in Berlin. Ein ahnungsloser Besatzungssoldat ist froh, als er die entflohenen Banker trifft, die so aussehen, als könne man sie mit dem Wiederaufbau demokratischer Strukturen beauftragen.
Volker Hesse inszeniert diese hanebüchene Geschichte als pralles und fantasievolles Volkstheater. Einige Schauspieler haben glänzende Auftritte: Dieter Wien als Politiker mit der alten Freiheitsrhetorik von West-Berlin, Norman Schenk als geschaßter Bankangestellter voller Haß, Julian Mehne und Michael Menninger als aasige Bankmanager, Thorsten Mehne als schlitzohriger Immobilienhai. Es gibt ein paar hübsche dialektische Pointen, so wenn es über die Nieten in Nadelstreifen heißt: "Ihr seid die wahren Anarchisten." Wie schön, dass man als Volk auch was zu lachen hat, wenn man schon für die windigen Geschäfte der Bonzen bluten muß.
Erstdruck in der STUTTGARTER ZEITUNG vom 30. März 2004
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