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THEATERKRITIK

Was ihr wollt
von William Shakespeare. Regie: Michael Thalheimer. Premiere im Zelt des Deutschen Theaters am 28. August 2008. Mit Stefan Konarske, Michael Bundschuh, Ingo Hülsmann u. a.

Hexenjagd von Arthur Miller. Regie: Thomas Schulte-Michels. Premiere in den Kammerspielen des Deutschen Theaters am 30. August 2008. Mit Christian Grashof, Kathrin Wehlisch, Meike Droste, Sven Lehmann, Thomas Schmidt, Gabriele Heinz, IsabelSchosnig u. a.


Schlammschlacht mit Shakespeare


von Michael Bienert

Vor dem Deutschen Theater stehen Baucontainer, das große Haus ist wegen Renovierung noch bis Anfang Dezember geschlossen. Eine Übergangsspielzeit beginnt: Der erfolgreiche Intendant Bernd Wilms hat sich verabschiedet, sein Nachfolger Ulrich Khuon kommt erst 2009 aus Hamburg, zwischenzeitlich führt der Dramaturg Oliver Reese die Geschäfte. Aber das alles hindert seine Truppe keineswegs, nochmal richtig Gas zu geben und als erste die Berliner Theatersaison zu eröffnen. Mit großer Besetzung kam in den kleinen Kammerspielen am Wochenende Arthur Millers „Hexenjagd“ zur Premiere, von Thomas Schulte-Michels knapp und konzentriert auf einem Podium mitten zwischen zwei Publikumsrängen inszeniert. Eine solide Ensembleleistung, die konzeptionell vor allem damit überraschte, dass jede direkte Anspielung auf die Verfolgung Andersdenkender und Konformitätszwang in heutiger Zeit peinlich vermieden wurde. Im Mittelpunkt steht die Dreiecksgeschichte zwischen dem raunzigen Bauern John Proctor (Sven Lehmann), der seine Frau (Isabel Schosnig) mit der Bediensteten Abigail (Kathrin Wehlisch) betrogen hat. Geboten wird ein packendes Drama der widerstreitenden Gefühle, passend zum Spielzeitmotto, das „Liebesgeschichten“ heißt.

Vor dem Deutschen Theater ist als weitere Spielstätte ein cremefarbenes Zelt aufgeschlagen worden. Drinnen riecht es feucht und erdig. Der ungewohnte Theaterduft geht von dunkelbraunen, feuchten Schollen aus, die die Spielfläche knöcheltief bedecken. Wie um einen riesigen Holztrog voller Matsch sitzen die Zuschauer im Halbkreis. In der ersten Reihe werden Plastikfolien zum Schutz der Abendgarderobe ausgegeben.

Als Michael Thalheimer vor zwei Jahren die „Orestie“ am Deutschen Theater inszenierte flossen Ströme von Theaterblut über die kahle Sperrholzbühne von Olaf Altmann. Die Schauspieler hatten Mühe, sich auf dem immer glitischiger werdenden Untergrund zu halten. Das erhöhte noch die Konzentration der reduzierten, formstrengen Aufführung und schützte sie vor Erstarrung. Nun treiben Thalheimer und Altmann ihre Spieler in eine Schlammschlacht mit Shakespeare. Die Akteure staksen und schliddern durch den braunen Brei, schubsen und legen sich flach hinein. Im Nu sind die blütenweißen Hosen und Kleider (von Kartin Lea Tag) bekleckst, beschmiert und durchgeweicht, die Haare verklebt. Sporadischer Sprühregen macht alles noch schlimmer. Shakespeares Welt ist ein Sumpf, aus dem es so wenig ein Entrinnen gibt wie seinerzeit in Thalheimers Orestie aus den Blutsbanden.

„Was ihr wollt“ wird zwar zu Shakespeares Komödien gerechnet, doch das mühsam spielbare Happyend wurde gestrichen. Bei der Thalheimer, der so sehr den Scheiternden zugetan ist, war das kaum anders zu erwarten. Eine Vergewaltigung ist das nicht, weil Shakespeare in seinen Lustspielen die Figuren regelmäßig an den Rand des Scheiterns treibt. Die Liebenden in „Was ihr wollt“ sind derart verblendet, dass eher schwer nachzuvollziehen ist, warum ihnen zuletzt das Glück in den Schoß purzeln soll.

Da ist Herzog Orsino (Alexander Khuon), der nicht wahrhaben will, dass ihn seine angebetete Olivia ablehnt. Lieber weidet er sich an seinem eigenen Liebesschmerz. Von einem Elektrogitarristen (Arne Jansen) lässt er sich aufspielen, reisst die Arme auseinander wie ein Rockstar und schreit „Mehr! Mehr!“ Was könnte er anfangen mit Olivia, diesem stolzen und herrschsüchtigen Mordsweib? Unter einem weißen Kleid und einer roten Langhaarperücke steckt das wendige Energiebündel Ingo Hülsmann: eine männerverschlingende Tunte.

Wie zu Shakespeares Lebzeiten hat Thalheimer alle Frauenrollen mit Männern besetzt. Da das Stück dafür geschrieben ist, geht das auch prima auf. Die Geschlechterverwirrung ist darin auf die Spitze getrieben. Denn in Viola, der treibenden Kraft des Stücks, steckt ein Schauspieler, der ein Mädchen spielt, das sich wiederum als Junge verkleidet, um als Bote zwischen Orsino und Olivia die Liebe des Herzogs zu gewinnen. Toll, wie der junge Stefan Konarske, beim letzten Theatertreffen mit dem Kerr-Darstellerpreis ausgezeichnet, sein androgynes Geschöpf zum Schillern bringt, ganz körperlich, ohne Aufgesetztheiten. Konarske kam erst vor zwei Jahren von der Schauspielschule ans Deutsche Theater. Es ist seine größte Rolle bisher und so wie man ihn an diesem Abend erlebt, möchte man ihn sofort auch als Hamlet oder in anderen Paraderollen sehen.

Dass seine Viola im Lauf der zwei Stunden immer weniger strahlt, ist dem schlammigen Inszenierungskonzept geschuldet: Schwer klebt die feuchte Matsch an Schuhen, Kleidern und Haaren, verwandelt sich von einem Schmiermittel gegen Ende doch in eine Aufführungsbremse. Vor allem Konarkse wühlt sich in den Sumpf bis zur Unkenntlichkeit, seine Viola reibt sich bis zur völligen Erschöpfung auf. Ach, wie hätten wir ihr den kleinen Liebestriumph am Ende gegönnt!

Der Klugen ergeht es um kein Haar besser als dem hochnäsigen Malvolio, der von dem vulgären Rülps (Bernd Stempel), dem strohdoofen Bleichenwang (Niklas Kohrt) und der energischen Dienerin Maria (Matthias Bundschuh) in eine grausame Liebesfalle gelockt wird. Der Puritaner Malvolio wird ein Opfer seiner Triebe und seines Verlangens nach sozialem Aufstieg. Ob er will oder nicht, auch er muss sich in den Liebessumpf suhlen, vor dem er sich ekelt wie sonst keiner. Michael Benthin gibt seine bizarre Figur nicht allein der Lächerlichkeit preis, sie wirkt so in sich verstrickt und neben der Spur, dass es Mitleid mit der persönlichen Tragödie weckt.

Die Liebe macht alle zu Narren und am Ende sind alle: angeschmiert. Nebenbei gibt es noch einen Berufsnarren, der sich fein raushält, einen dicken Alten mit Rauschebart (Michael Schweighöfer), halb Penner, halb Gottvater. Stoisch sagt er seine hinterhältigen Weisheiten auf. Und hat am Ende als einziger noch ein weißes Hemd und eine saubere Krawatte an.

Ein guter Saisonstart. Man spürt, dass Shakespeare seine Stücke eben doch nicht für die Guckkastenbühne geschrieben hat. Das elisabethanische Theater war so derb wie eine Zirkusaufführung. Die Schauspieler des Deutschen Theater genießen es spürbar, unter annähernd archaischen Bedingungen im Zelt aufzutreten. Daneben wirkt die Hexenjagd in den Kammerspielen fast aseptisch und ungemein routiniert. Im Theaterzelt muss das Publikum mit braunen Flecken auf den Kleidern rechnen. Zum freundlichen Schlußapplaus erschien das glückliche Inszenierungsteam in Gummistiefeln.

Aufführungstermine unter
www.deutschestheater.de