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THEATERKRITIK

The Producers
von Mel Brooks. Regie: Susan Stroman. Musikalische Leitung: Adrian Manz. Berliner Premiere im Admiralspalast am 17. Mai 2009. Mit Cornelius Obonya, Andreas Bieber, Bettina Mönch, Herbert Steinböck, Martin Sommerlatte u. a.


Viel Musik und wenig Hitler


von Michael Bienert

Das Spiel mit der Nazisymbolik beginnt lange vor der Aufführung. Der Admiralspalast ist mit roten Flaggen behängt wie für einen Reichsparteitag, allerdings prangt im weißen Kreis kein Hakenkreuz, sondern eine lustige Brezel. Ein Ordner mit roter Armbinde händigt die Eintrittskarte aus, die Programmverkäuferinnen tragen quietschbunte Dirndlkleidchen und lange Zöpfe wie BDM-Mädels. Im Theaterfoyer kann man sich mit Blutwurst und Sauerkraut stärken. Das schürt Erwartungen nach einem ungewöhnlichen Theaterereignis, vielleicht nach einem geschichtspolitischen Sündenfall.

Im Programmheft verspricht Admiralspalast-Chef Falk Walter „ein Stück, in jeder erdenklichen Hinsicht fabelhaft politisch unkorrekt, respektlos allem und jedem gegenüber ... Vielleicht ist es die notwendigste, richtigste Form der heutigen Auseinandersetzung und Aufarbeitung.“ Den deutschen Dämon Hitler der Lächerlichkeit preiszugeben, könnte in der Tat eine befreiende Wirkung haben. Der Haken ist bloß - davon handelt das Musical „The Producers“ von Mel Brooks nur ganz, ganz am Rande.

Hitler tritt nämlich gar nicht wirklich in Erscheinung. Es gibt nicht mal den Ansatz einer Hitlerparodie, wie sie Chaplin in „Der große Diktator“ gewagt hat. Nur wenige Minuten dreht sich das dreistündige Musicalspektakel um einen schwulen Regisseur, der eine Broadwayrevue inszeniert hat und im Adolfkostüm einspringen muss, weil sein Hauptdarsteller verletzt ist. Eine eitle Tunte im Hitlerdress, das ist weder eine ernstzunehmende noch eine verharmlosende Darstellung des Diktators auf der Bühne. Nur ein harmloser Spaß, den man lustig finden kann, aber nicht muss.

Und was wäre politisch korrekter als die langbeinigen Revuegirls, aus deren Kostümchen riesige Bierhumpen, Brezeln und Bockwürste herauswachsen? Lächerlicher geht es nicht. Selbst die schmissige Tanzformation in Gestalt eines Hakenkreuzes wirkt nicht anstößig, besteht sie doch zu zwei Dritteln aus leblosen Puppen in Uniform. Die kurze Revue der Nazisymbole ist satirisch derart überzogen und so sorgfältig in eine menschenfreundliche Rahmenhandlung eingewoben, dass die deutsche Erstaufführung von „The Producers“ kreuzbrav wirkt - von Frechheit keine Spur.

Wo ist der Biss der gleichnamigen Filmkomödie geblieben, die Mel Brooks 1968 in die Kinos brachte und für den er einen Drehbuch-“Oscar“ erhielt? Trotz mittlerweile stark gelockerter Sitten wirkt der Film heute immer noch frecher, trashiger, schmutziger und vulgärer. Zum Beispiel im Umgang mit dem Tabuthema Alterssex. Ein schmieriger Zero Mostel spielt im Film den jüdischen Produzenten Max Bialystock, der reihenweise alte Damen umlegt, um an ihre Kröten heranzukommen. Gene Wilder ist der neurotische Buchhalter Leo Bloom, der Max auf den Idee bringt, mit dem größten Bühnenflop aller Zeiten reich zu werden. Was sich als Fehlspekulation erweist, weil „Hitler im Frühling“ die Massen begeistert.

In der Musicalversion, die 2001 zwölf Tonys einheimste und danach ebenfalls in die Kinos kam, wird die abstruse Geschichte sentimentalisiert. Der Buchhalter Bloom träumt hier immer schon davon, ein Theatermacher zu sein. Am Ende sieht man das Produzentenpaar nicht im Kittchen, sondern als unzertrennliche Kumpels auf dem Broadway. Zudem heiratet Bloom den fleischgewordenen Blondinenwitz Ulla - anders als im Film ein Happyend für den Massengeschmack.

Auf der Bühne des Admiralspalasts ist Bloom folgerichtig ein sympathisches Bürschlein (Andreas Bieber), das singen und leichtfüßig tanzen kann. Der ehemalige Burgtheaterschauspieler Cornelius Obonya arbeitet sich schwitzend durch die Rolle des Max. Zu Hochform läuft er erst auf, als er in einem späten Gesangsmonolog die Wut auf seinen Partner gestalten kann, der mit dem Geld und Ulla nach Rio durchgebrannt ist. Bettina Mönch überzeugt als hinreißend hohle Riesenblondine, Martin Sommerlatte als schwuler Regisseur und Hitler. Richtig krachen aber lässt es der Komiker Herbert Steinböck, der den garstigen Naziautor Franz Liebkind verkörpert. Der vierschrötige Hitlerverehrer bringt den jüdischen Produzenten das Schuhplatteln und den Siegfriedeid auf den Führer bei. Seinen Käfigtauben hat Liebkind den Hitlergruß andressiert, einer der größten Lacher. So verrückt, so auf Messers Schneide zwischen dem Gruseligen und Komischen hätte man sich den ganzen Abend gewünscht.

Schmissige Orchestermusik und flotte Choreographien (von Susan Stroman) beschwören den leicht angestaubten Glanz des Broadway in den Fünfzigern, das trägt über den Mangel an schriller Komik und Tiefgang hinweg. Es gibt wahrlich dümmere Musicals als dieses selbstironische Singspiel über das Showbiz. Die Berliner Premiere der Inszenierung, die zuvor bereits in Wien zu sehen war, wurde mit stehenden Ovationen gefeiert.