www.text-der-stadt.de + HOME + AUSSTELLUNGEN + KONTAKT + Elke Linda Buchholz


Foto: Öffentlichkeitsarbeit Martin-Gropius-Bau


Mit dem Boot durch die Wüste
„Ursprünge der Seidenstraße“ im Berliner Martin-Gropius-Bau

Von Elke Linda Buchholz

Als sei sie mitten in der Wüste vor Anker gegangen, ruht eine Flotte von Holzbooten im Sand. Pfähle ragen wie Masten in die Höhe. In Wirklichkeit sind es schlanke, geschnitzte Grabmale, und bei den mit Holz und Fellen abgedeckten Boote handelt es sich um Särge. Viertausend Jahre ruhten sie im salzigen Sand des Tarimbeckens im äußersten Westen Chinas, verborgen unter einer acht Meter hohen Düne. Das extrem trockene Wüstenklima konservierte die Toten als natürliche Mumien, samt ihren Fellstiefeln und Filzmützen, auf denen noch die Verzierung aus roten Wollkordeln und Wieselpelz prangt, samt fein geflochtenen Strohkörbchen und befiederten Pfeilen. Aber wieso bauten sie Boote? Einst müssen dort, wo sich heute unendliche eine Wüste dehnt, Pappelauenwälder und Schilfwiesen gestanden haben, in denen Hirsche, Tiger und Wildschweine lebten. Alte Karten verzeichnen noch den riesigen Lop-Nur-See. Das Austrocknen der Region bedeutete für Oasen und Siedlungen den Untergang.

Seit 2002 haben chinesische Archäologen den Schiffsfriedhof von Xiaohe in der Wüste freigelegt. Dieser ist nur eine von zahlreichen sensationellen Fundstätten, die jetzt erstmals außerhalb Chinas in der Ausstellung „Ursprünge der Seidenstraße“ im Berliner Martin-Gropius-Bau präsentiert werden. Initiiert wurde das deutsch-chinesische Ausstellungsprojekt von den Mannheimer Reiss-Engelhorn-Museen. Die Wissenschaftler aus Mannheim sind in China auch als Textilspezialisten gefragt, bei der Erforschung und Erhaltung kostbarer, jahrtausendealter Stoffe und Kleidungsstücke. Im chinesischen Wüstensand blieben die Textilien besser als irgendwo sonst erhalten. In ihrer Farbenpracht bilden sie Höhepunkte der Ausstellung. Die Schau rückt eine faszinierende Region in den Blick, die gewöhnlich jenseits der eurozentrischen Wahrnehmung liegt: die Autonome Uigurische Region Xinjiang, ganz im Westen der Volksrepublik gelegen, früher als Ostturkestan bekannt. Sie ist dreimal so groß wie Deutschland, grenzt an Indien, Afghanistan, Kasachstan und die Mongolei und liegt mehrere tausend Kilometer von der nächsten Küste entfernt – eine Vielvölkerregion, in der Chinesen neben den turkstämmigen, islamgläubigen Uiguren eine Minderheit bilden. Auf deren separatistische Bestrebungen reagiert Peking mit Repressionen. Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat die Uiguren auf ihre Liste gesetzt.

Von hohen Gebirgszügen des Altai, Himalaja und Karakorum umschlossen, besteht Xinjiang großenteils aus der Wüste Taklamakan. Wie die neuen archäologischen Funde zeigen, müssen in diesem unwirtlichen Territorium schon vor Jahrtausenden Händler von Oase zu Oase gezogen sein. Ihre Routen am Nord- und Südrand der Wüste entwickelten sich später zum weitverzweigten Wegenetz der Seidenstraße. Auf Kamelen reisten kostbare Stoffe, Gold und Gewürze von Ost nach West. Schon seit Menschengedenken mischen sich in der Region Kulturen, Sprachen, Schriften, Religionen und Völkerstämme.

Anrührend ist die Mumie eines kleinen Mädchens aus Zagunluk, liebevoll in eine weinrote Wolldecke gewickelt, der Kopf mit einer leuchtend blauen Haube aus weicher Wolle umhüllt, daneben Trinkhorn und Saugbeutelchen. Es starb im 8. Jahrhundert vor Chr. im Alter von vielleicht zehn Monaten. Andernorts gab man einem toten Kind einen Proviantbeutel mit auf den Weg: Die zweitausend Jahre alten Hirsebrötchen sind steinhart, aber unversehrt. Man sieht feinste Seidenstoffe, Wollhosen mit farbigen Bordüren, Gewänder mit weiten Ärmeln, auf denen ein einzelner Fleck nur deshalb ins Auge fällt, weil sie ansonsten in perfektem Zustand sind. Prunkstück der Ausstellung ist das Grab eines reichen, fast zwei Meter großen Mannes aus Yingpan. Seine prachtvolle, bunte Kleidung sieht aus, als sei er gestern erst ins Grab gelegt worden, doch das ist mehr als 1500 Jahre her. Den tiefroten Seidenkaftan schmücken Granatapfelbäume und Putten, die an griechisch-römische Einflüsse denken lassen, seine Hose erinnert an die Mode westasiatischer Völker, die weiße Maske auf seinem Gesicht mit Blattgold auf der Stirn an Funde aus Südsibirien. Mit seiner ausgeprägten Nase war dies aber bestimmt kein Chinese. Ob er ein Kaufmann war, der fern der Heimat starb? Die hervorragend erhaltenen Textilfunde, Mumien und Alltagsgerätschaften werfen mehr Fragen auf, als sie beantworten. Wer diese Menschen waren, in welchen Sprachen sie sich verständigten, welchem Glauben sie anhingen – vieles muss offenbleiben. Die Funde belegen jedoch den Kulturtransfer von Technologien, Materialien, Mustern, Moden über Tausende von Kilometern: bis zum Iran, zu den skythischen Reiternomaden, zum Mittelmeerraum.

Den Abschluss der Reise von Fundort zu Fundort bildet die überraschend realistische Goldmaske eines bärtigen Mannes mit asiatischen Zügen aus der Völkerwanderungszeit. Aus mandelförmigen, mit Granat eingelegten Augen schaut er den Betrachter an, das Gesicht von einem schmalen Bart aus Edelsteinen gerahmt. Solche Einlegearbeiten kennt man sonst nur aus viel weiter westlich gelegenen Regionen in Mittel- und Osteuropa. Auf der Seidenstraße gelangten sie bis ins Ili-Tal von Xinjiang. Ein wenig sorgenvoll wirkt der goldene Mann. Den heute in seinem Teil der Welt lebenden Menschen und ihrer Regierung überbringt er eine gültige politische Botschaft: dass auf lange Sicht nicht Abschottung, sondern nur kultureller Austausch und Offenheit den Reichtum einer Region ermöglichen.

In Berlin bis 14. Januar 2008, Mittwoch bis Montag 10 bis 20 Uhr. Vom 9. Februar bis 1. Juni 2008 wird die Ausstellung in den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim zu sehen sein.
Der Katalog (erschienen im Konrad Theiss Verlag Stuttgart) kostet in der Ausstellung 24, 90 Euro.