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THEATERKRITIK

Rosa
von Volker Ludwig und Franziska Steiof. Regie: Franziska Steiof. Premiere im Grips Theater am 7. November 2008. Mit Regine Seidler u. a.


Rotkäppchens Wiederkehr


von Michael Bienert

Im Oktober 2008 verurteilte ein Gericht den Berliner NPD-Vorsitzenden Jörg Hähnel zu einer Geldstrafe von 4500 Euro. In einem Bezirksparlament hatte er die Ermordung von Rosa Luxemburg während des Spartakusaufstandes 1919 als „mutige Tat“ bezeichnet und gefordert, einen Platz nach dem dafür verantwortlichen Freikorpsoffizier zu benennen. Das Gericht erkannte darin die öffentliche Billigung einer Straftat und einen indirekten Aufruf zur Liquidierung linker Politiker.

Da die Rechtsextremen besonders Jugendliche umwerben, während gleichzeitig die Geschichte der politischen Linken zunehmend aus dem Schulunterricht verschwindet, kann man es nur begrüßen, dass sich das Berliner Grips-Theater um den nötigen Nachhilfeunterricht kümmert. Ein Stück über die rote Rosa war ein alter Traum des Prinzipals Volker Ludwig. Seine Co-Autorin Franziska Steiof führt in der neuen Grips-Revue auch Regie. Streckenweise sehr flott erzählt sie das aufregende Leben der politischen Agitatorin von der Wiege bis zu ihrer Ermordung und die Geschichte der deutschen Linken im Kaiserreich gleich mit.

„Wir sind die letzten Linken / und drohen zu ertrinken / im Sumpf der Reformisten“ singt der graubärtige Führungszirkel der deutschen Sozialdemokratie mit den Grips-Urgesteinen Dietrich Lehmann (als August Bebel) und Thomas Arens (als Karl Kautsky) an der Spitze. Zusammen mit der lebenslustigen Clara Zetkin (Michaela Hanser), mit deren Sohn sie ein Verhältnis anfängt, mischt die radikale Rosa den Altherrenverein kräftig auf. Als Menschenfischerin wird sie ausgenutzt, bis es 1916 wegen der Unterstützung der Kriegsfinanzierung durch die SPD im Reichstag zum endgültigen Bruch kommt.

Regine Seidler in der Hauptrolle trifft bei den abrupten Szenenwechseln auf der kargen Stufenbühne immer den richtigen Ton. Sie schmettert schneidige Kapitalismusanalysen ins Publikum, angelt sich zahlreiche Liebhaber und leidet doch unter dem Gefühl, das wahre Leben zu verpassen. Seidler ist das Herz und die Seele, der Dreh- und Angelpunkt des Geschichtspanoramas, das die Möglichkeiten des kleinen Grips-Theater aufs äußerste strapaziert. Die dreizehn Schauspieler bewältigen zirka 60 Rollen und Massenszenen in liebevoll geschneiderten historischen Kostümen (von Barbara Kremer). Die vierköpfige Band im Hintergrund hilft bei der unterhaltsamen Bewältigung des Riesenpensums an historischer Information, aber die Musik des Komponisten Thomas Zaufke klingt oft allzu schlagerselig. Ob sie wirklich bei den jüngeren Zuschauern verfängt? Und ob die zähen ideologischen Auseinandersetzungen innerhalb der Linken sie wirklich dreieinhalb Stunden lang fesseln? Man kann es nach der Premiere vor einem überwiegend altlinken Publikum nicht wirklich beurteilen.

Große Politik muss nicht dröge sein, das hat gerade Barack Obama bewiesen. Politische Geschichte kann nicht weniger spannend erzählt werden, zeigt jetzt das Grips-Theater. Aber eigentlich ist seine Rosa eine Romantikerin, die sich auf der Suche nach der blauen Blume in die Parteipolitik verirrt - und von der Revolution, die sie herbeisehnt, aufgefressen wird. Einmal mehr stilisiert diese Aufführung die faszinierende Frau zur Ikone: als Rotkäppchen der deutschen Linken.