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Michael Bienert


THEATERKRITIK

Richard III.
von William Shakespeare. Regie: Claus Peymann. Premiere am Berliner Ensemble am 9. Februar 2008. Mit Ernst Stötzner u. a.


Theater für den Export

von Michael Bienert

Plötzlich ist ja richtig was los am Berliner Ensemble! Vor dem Theater halten ein paar Demonstranten tapfer Bettlaken hoch. Auf einem steht: „Der Peymann, die Mullahs und der Tod“. Junge Leute verteilen Flugblätter an das Premierenpublikum. Aus einer Lautsprecheranlage dröhnt: „Peymann lügt!“ Wenn das hier Theater wäre, dann wäre es nicht schlecht inszeniert. Ein lautes Wortgefecht zwischen einem Agitator und Premierengästen droht gar in Handgreiflichkeiten überzugehen. Man fühlt sich in beste Peymann-Zeiten zurückversetzt.

Aber an diesem Premierenabend sind es Jüngere, die dem alten Hasen Peymann zeigen, wie man politisches Theater macht. Mit einer polizeilich angemeldeten Demonstration protestiert eine Aktivistengruppe gegen die Unterdrückung der Opposition im Iran und gegen den offenen Antisemitismus des Präsidenten Ahmadinejad. Der Anlass: Diese Woche gastiert Peymanns Berliner Ensemble mit seiner „Mutter Courage“-Inszenierung in Teheran. Ein „Geschenk an die theaterinteressierten Bürger“ im Iran solle das Gastspiel sein, schreibt Peymann in einer Presseerklärung. Die Agitatoren vor seinem Haus halten das für Augenwischerei. Sie werfen Peymann vor, den Terror des iranischen Regimes zu verharmlosen. Und sie attackieren auch den Berlinale-Chef Dieter Kosslick, der dieser Tage einen iranischen Film im Wettbewerb laufen lässt.

Die Demonstranten schlagen eine andere Form des Kulturaustauschs vor. Zum Beispiel könne man den Tschadorzwang für Frauen bei Aufführungen am Berliner Ensemble einführen, alle homosexuellen Bühnenmitarbeiter entlassen und in der Kantine ein Foltergefängnis einrichten. Iranische Verhältnisse am Theater! Das wäre immerhin eine Inszenierung auf der Höhe der Zeit. Sie würde das Berliner Ensemble vielleicht aus seinem Dornröschenschlaf wachrütteln. Dort träumt Thalia auf einem Perserteppich von besseren Tagen. Man sieht die Dornröschenhecke zwar nicht, aber sie sorgt dafür, dass die Gegenwart draußen bleibt. Auch an diesem Abend, an dem die Premiere von Shakespeares „Richard III.“ auf dem Theaterzettel steht.

Das Stück ist monströs. Der Blick fällt in einen Abgrund, in eine Mörder- und Schlangengrube. Der humpelnde, missgestaltete Richard ist kein Bösewicht, der diese Welt schlechter macht. Er geht nur raffinierter und skrupelloser vor als die anderen Mitglieder des regierenden Clans. Alle haben Dreck am Stecken, alle müssen sie dran glauben. Kinder werden erwürgt und ruckzuck fallen die Köpfe. Für diese Giftschlangen hat der Bühnenbildner Karl-Ernst Hermann ein blitzblankes Terrarium gebaut. Eine schiefe Ebene, auf der sich hohe verschiebbare Wände aus Plexiglas kreuzen. Ein Kühlschrank mit Glasscheibe bleibt fast das einzige Möbelstück. Diese transparente Bühne mit ihren Glas- und Lichträumen könnte vielschichtige Spielzüge ermöglichen, faszinierend gestaffelte Theaterbilder. Doch der Regisseur Peymann lässt kaum einmal aus der Tiefe des Raums spielen, sondern seine Schauspieler meist auf- und abtreten, als wären die Wände aus Sperrholz.

Mit Ernst Stötzner hat sich Peymann einen idealen Hauptdarsteller ans Haus geholt. Unvergesslich sein nackter blutbesudelter Theaterkönig mit weißer Haarmähne in Jürgen Goschs Düsseldorfer „Macbeth“-Inszenierung vor drei Jahren. Für seinen wildtierhaften Puck im neuen „Sommernachtstraum“ des Deutschen Theaters erhält Stötzner im März den Gertrud-Eysoldt-Preis. Doch in Peymanns Regie wirkt dieser Schauspieler gezähmt. Das Urgewaltige, das Animalische, das Schamlose ist weg. Ganz konventionell operiert dieser Richard aus dem Hinterhalt, er ist ein Verstellungskünstler, der ab und zu vorn an der Rampe die Maske fallen lässt. Kein Getriebener, Triebhafter, nur ein Zocker. Als er endlich die Königskrone aufhat, langweilt er sich sofort auf seinem einem armseligen Thron. Eine Ausgeburt der Hölle? Wenn schon, dann im Sinne Goethes: Eine Kraft, die das Böse will und am Ende das Gute schafft, nämlich die restlose Entsorgung einer korrupten herrschenden Klasse.

Die sieht bei Peymann (und in den Kostümen von Maria-Elena Amos) genauso aus wie vor zwanzig, dreißig Jahren: Anzugträger, die Cocktailspiesse verzehren, Sekt trinken und dabei Shakespearedialoge absondern. Die Übersetzung von Thomas Brasch hat Peymann für eine Inszenierung am Burgtheater anfertigen lassen. Die Premiere im Februar 1987 war ein Riesentriumph für Gert Voss in der Titelrolle - für Stötzner bleibt nur ein Achtungserfolg. Therese Affolter (Königin Elisabeth) und Ilse Ritter (Herzogin von York), alte Bekannte aus Wiener Zeiten, spielen ihre Figuren in Berlin mit einer Zartheit, die von der Scharfkantigkeit der Ensemblemitglieder leicht absticht. Tragische Größe gewinnt am ehesten noch Nicole Heesters als kahlköpfige Ex-Königin Margret, deren Fluch auf den Nachgeborenenen lastet. Die elende Seite des Gemetzels lässt Jürgen Holtz (Georg) spüren, als er im Tower auf die Hinrichtung wartet. Ansonsten findet das Schlachtfest im Orkus unter der Bühne statt, man hört und sieht davon kaum etwas.

Warum und wozu diese Aufführung hier und heute? Es bleibt unbegreiflich, vor allem: unfühlbar. Kein Sog zieht in die fremde Welt Shakespeares hinein. Dieser perfektionistische „Richard III.“ wirkt nach fünf öffentlichen Voraufführungen schon am Premierenabend wie ein poliertes Museumsstück. Aber vielleicht inszeniert Peymann einfach nur am falschen Ort? Es gibt Länder auf der Erde, da funktioniert Politik noch wie bei Shakespeare, anders als in der Bundesrepublik. Im Iran würde Peymanns „Richard III.“ womöglich als provozierendes Zeitstück empfunden. Vielleicht sollte der deutsche Außenminister dem Präsidenten Ahmadinedjad die Übernahme des Berliner Ensembles anbieten, im Austausch das iranische Atomprogramm.

ERSTDRUCK: Stuttgarter Zeitung vom 11. Februar 2008.