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THEATERKRITIK

Pfft oder Der letzte Tango am Telefon
von George Tabori. Regie: Martin Wuttke. Premiere am Berliner Ensemble im Dezember 2007. Mit Martin Wuttke u. a.


Ein lüsterner Hallodri


von Michael Bienert

Tote können zählebig sein. Noch lange geistern sie durch die Gedanken und Träume der Lebenden, auch wenn sie körperlich nicht mehr anwesend sind. George Tabori ist im Berliner Ensemble so gegenwärtig wie vor dem 23. Juli, als der Dramatiker und Regisseurin seiner Wohnung auf der anderen Seite des Bertolt-Brecht-Platzes starb. Auch der Kritiker kann zu einer postmortalen Tabori-Premiere nicht am Brechtdenkmal vorbeigehen, ohne sich dort die schmale Greisengestalt mit dem imposanten weißen Schnurrbart vorzustellen.

Im Theater steht Tabori dann lebenssprühend und stark verjüngt auf der Bühne, genauer gesagt: er tanzt auf dem Tisch, um die Augen der reiferen Zuschauerinnen zum Leuchten zu bringen. Der Schauspieler Martin Wuttke hat sich eine dunkelblonde Perücke und eine große Siebzigerjahrebrille aufgesetzt, er steckt in einem altmodischen Jackett, und aus dem oben offenen Hemd gucken die Brusthaare heraus. Er könnte auch ein Pornodarsteller aus der Epoche der Schulmädchenreports sein, zugleich verdruckst und sexbesessen. Ein lächerlicher Lüstling wie Woody Allen.

Seinerzeit gab es noch keine Handys oder SMS, man organisierte Seitensprünge aus Telefonzellen und wartete zu Hause stunden- oder tagelang auf einen Anruf seiner Flamme. Um solche Situationen kreist Taboris Ich-Erzählung „Pffft oder Der letzte Tango am Telefon“, die Wuttke auf Wunsch des verstorbenen Autors zur Uraufführung bringt. Es handelt sich dabei allerdings nicht um eine Entdeckung aus dem Nachlass: 1981 geschrieben, ist der Text seit zwanzig Jahren in gedruckter Form im Buchhandel.

Für seinen Auftritt als Wiedergänger Taboris hat sich Wuttke einen Laufsteg bauen lassen, einen sehr langen Holztisch, um den das Publikum auf Polsterstühlen in zwei Reihen Platz nimmt. Das obere Pausenfoyer des Theaters mit seinen Kronleuchtern, vergoldeten
Stuckkaturen, falschen Marmorsäulen und Holzvertäfelungen bildet einen stimmungsvollen Rahmen. Aus ihm lösen sich acht junge Damen in weißen Gewändern, so als sei Leben in die den Theaterbau schmückenden Statuen gefahren: ein griechischer Chor, der die sprachlichen und sexuellen Ergüsse des Hauptdarstellers mehrstimmig kommentiert. Steif und keusch, bleiben die reizenden jungen Damen für die Gelüste des triebgesteuerten Hallodris unerreichbar. Sein hormoneller Überdruck prallt an ihrer marmornen
Haltung ab – und wird Kunst.

Sexbesessen, aber ohne Aussicht auf Befriedigung drehen Taboris Text und Wuttke ihre Pirouetten. Ein Witz übers Liebesleben und Liebesleiden jagt den nächsten, Auschwitz inklusive. Man kennt das von Tabori. Aber: „Man kann die Toten nicht daran hindern, ihre Witze immer wieder zu erzählen“, tönt der Frauenchor. Wuttke, der selbst Regie führt, bleibt gleichfalls im Rahmen des Erwartbaren: ein furioser Monologist mit hemmungslosem Vergnügen am Unartigen, Schmierigen, Schlüpfrigen und Lächerlichen.

Es gibt kein Leben vor dem Tod. Es gibt nur ein Leben mit und nach dem Tod. Mitten im Stück geht eine Tür in der Saalwand auf und aus dem Nebel tritt ein hagerer Sensenmann in schwarzer Kutte. Er setzt sich zwischen die Zuschauer an den langen Tisch. Aus seinen weiten Ärmeln qualmt es lustig weiter. Der Tod wartet lange reglos ab, bis der Hauptdarsteller mit seinem Text fertig ist und sich müde an ihn lehnt: „Und mein Wrack macht endlich pffft.“ Damit ist nun aber keineswegs Schluss. Behände erhebt sich der Wiedergänger Taboris zu seinem finalen Auftritt mit Gesang. So viel ist sicher: Es wird nicht der letzte gewesen sein.