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THEATERKRITIK

Penthesilea
von Heinrich von Kleist. Regie: Luk Perceval. Premiere an der Schaubühne am 21. Februar 2008. Mit Katharina Schüttler, Rafael Stachowiak u. a.


Penthesilea im Nachthemd


von Michael Bienert

Wenn an der Berliner Schaubühne Tragödie gespielt wird, dann bietet sich die halbrunde Betonapsis an, die seit dem Wiederaufbau des Mendelssohnkinos das ehemalige Foyer ersetzt. Graue Wände schließen die Spieler drei Stockwerke hoch ein, sofort ist die martialische Ausweglosigkeit der Tragödie augenfällig, egal ob die Zentralfigur nun Macbeth heißt oder Elektra oder Penthesilea. Für die Inszenierung von Kleists Trauerspiel hat die Bühnenbildnerin Annette Kurz die Schlupflöcher in den Betonwänden mit Stahlplatten verstellt. In der Bühnenmitte ragen baumlange Vierkanthölzer bis zur Decke, die am Schluss der Vorstellung wie Mikadostäbe krachend auseinanderfallen.

Bis es endlich so weit ist, drehen die Schauspieler viele, viele Runden um die mächtige Holzskulptur. Wer bei dem Regisseur Luk Perceval auf der Bühne steht, muss nicht mehr ins Fitnesstudio. Kaltes Scheinwerferlicht malt die Schatten der Krieger auf die kahlen Wände. Dazu brüllt, jault, nervt und zirzt fast zwei Stunden lang die elektrische Gitarre des Jazzmusikers Jean-Paul Bourelly. Sein Solokonzert verbindet die in viele herabhängende Mikrofone gehauchten und gebrüllten Textfragmente des Kleistdramas feinfühlig zu einem durchgehenden Soundtrack.

Der Regisseur Luk Perceval, künftiger Schauspiellehrer an der Ludwigburger Theaterakademie, ist kein Feinmaler. Sein Theater ist grau, kantig, körperbetont und wuchtig. Wie Kleist verabscheut er die Konvention und sucht die Extreme. Das Drama der Amazonenkönigin sollte nicht Gefallen erregen, sondern an die Nerven gehen. Der Schauplatz ist ein Schlachtfeld, im beinharten Kampf der Geschlechter blüht etwas wie Liebe auf und endet in einem Gemetzel. Die martialisch-karge Ästhetik der neuen Schaubühnenaufführung passt zu dieser Geschichte. Doch der Abend bleibt eher als Performance oder Konzert in Erinnerung, denn als Theaterinszenierung. Man nimmt ein paar starke Bilder und wenige magische Momente mit, während sich die ungeheure Liebesgeschichte fast verflüchtigt.

Wahrscheinlich entscheidet sich das Schicksal jeder Penthesilea-Aufführung bereits bei der Wahl der Hauptdarstellerin. Die zarte Katharina Schüttler, vor zwei Jahren zur „Schauspielerin des Jahres“ gewählt, ist schlichtweg keine Amazone, sondern bleibt ein Fliegengewicht. Es berührt, wenn sie hilflos wie ein Vögelchen dasteht oder von Achill umarmt wird, doch Schüttlers Raserei wirkt angestrengt, inszeniert und ungefährlich. Überdies lässt die Kostümbildnerin Ursula Renzenbrink die Amazonen in weißen Nachthemdchen auflaufen. So lächerlich dünn wie Penthesilea darin ausschaut, so lächerlich pfundig wirkt darin die sonst so wunderbare Bettina Stucky als Gefährtin Prothoe.

Dieser panzerlose Amazonenhaufen prallt in Percevals Choreographie gar nicht erst richtig auf die athletische Männergang der Griechen. Sie würden die Mädchen sowieso überrennen. Mit Michael Rastl (Antilochus) und Rafael Stachowiak (Achill) besitzen die Griechen überzeugende Anführer. Bei Kleist aber sind Männer und Frauen, Achill und Penthesilea gleich stark. Genau diese Pattsituation treibt sie zum Äußersten. Das müsste man auf dem Theater nicht nur gesagt bekommen, sondern sehen und fühlen.

Als Andenken kann man für drei Euro eine DVD mit Probeneindrücken als Bonusmaterial mit nachhause nehmen. Darauf sieht diese „Penthesilea“ gleich viel hipper aus, als sie ist. Überdies gibt es jetzt auch ein Theater im Internet (
www.logentheater.de), wo demnächst Filme über die Aufführung laufen sollen. Ein aufwühlendes Liveerlebnis wäre aber doch schöner gewesen.