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THEATERKRITIK

Leonce und Lena
von Georg Büchner. Regie: Jan Bosse. Premiere am Maxim-Gorki-Theater am 29. April 2009. Mit Michael Wittenborn, Mark Waschke, Maja Schöne, Ronald Kukulies, Jan-Peter Kampwirth und Julischka Eichel



Die Leere hinter dem Glamour

von Michael Bienert

Unter den Linden blockiert eine Menschentraube den Bürgersteig. Vor dem Berliner Zeughaus stehen Fotografen Spalier. Sie erheben ein großes Geschrei, sobald ein prominentes Gesicht aus einem haltenden Taxi steigt. Damen im Abendkleid halten ihr Zahnpastalächeln ins Blitzlichtgewitter. Als der geschasste Bahnchef Mehdorn auftaucht, hört man ein paar Buhrufe. Fans der britischen Monarchie warten auf Prinz Charles, dem im Zeughaus ein Preis für seine Verdienste um den Umweltschutz verliehen wird.

Der Zufall will es, dass zur selben Stunde gleich nebenan das Maxim-Gorki-Theater eine ähnliche Inszenierung zeigt. Im Reich Popo wird die Hochzeit des Prinzen Leonce vorbereitet. Für die öffentliche Zeremonie stehen eine riesige Torte, eine Pyramide mit Sektgläsern und ein Rednerpult auf der Bühne. Ein Strahlemann im hellen Anzug (Jan-Peter Kampwirth als Staatsrat) studiert mit dem Publikum das rhythmische Klatschen für den Auftritt des Herrschers ein. Doch hinter den Kulissen des Staatsakts, in die wir hier blicken dürfen, regiert gähnende Lustlosigkeit.

König Peter (Michael Wittenborn) hat das Repräsentieren satt. In weißem Anzug und mit langen Haaren gleicht er einem schwer in die Jahre gekommenen Popstar. Prinz Leonce (Mark Waschke) ist in der glamourösen Scheinwelt der Macht groß geworden und langweilt sich fast zu Tode. Mit dem Spaßmacher Valerio, einem prolligen Arbeitsverweigerer (Ronald Kukulies) nimmt der Prinz Reißaus. Er stimmt ein, als Valerio skandiert: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen!“

Das einmontierte Zitat aus dem „Hessischen Landboten“ verweist auf das politische Engagement Georg Büchners, der sein Lustspiel „Leonce und Lena“ in einem winzigen Duodezfürstentum angesiedelt hat. Regisseur Jan Bosse und seine Dramaturgin Andrea Koschwitz misstrauen der aufgesetzten Lustigkeit des Stücks. Sie versuchen seine tiefe Schwermut und seine politische Brisanz an die Oberfläche zu kehren. Dramaturgisch ist das wohl überlegt, doch es nimmt den Absurditäten und Sprachkapriolen der Vorlage viel von ihrem Schwung. Das Stück irrlichtert nicht länger. Nur ein matter Sprachglanz liegt über einem schwarzen Abgrund von Leere und Langeweile.

Leonce verlässt Rosetta (Julischka Eichel), ein blondes Luxusgeschöpf, das sich liebessehnsüchtig Rosenblätter aufs Haupt streut. Sie hat sich mit dem Leben zwischen einem Hofstaat aus Schaufensterpuppen arrangiert. Anders die entlaufene Prinzessin Lena (Maja Schöne), sie ist eine Träumerin wie Leonce. Beide finden sich unter einem bestirnten Nachthimmel in einem barocken Irrgarten (von Stéphane Laimé), landen dann aber ernüchtert wieder am Ausgangspunkt ihres Ausbruchsversuchs: als Königspaar auf öffentlicher Bühne.

Dieses Ende schmeckt bloß bitter und fad. Büchner selbst hat den fatalistischen Schluss mit poetischen Blumen ausgeschmückt: „Und dann umstellen wir das Ländchen mit Brennspiegeln, dass es keinen Winter mehr gibt ... und wir das ganze Jahr zwischen Rosen und Veilchen, zwischen Orangen und Lorbeern stecken.“ Die ironischen Schlusssätze hätte man nicht komplett streichen müssen. Schließlich gibt es immer noch Prinzen wie den britischen Thronfolger Charles, die solche Träume haben.