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Die Schattenseite des Kapitalismus
Die Deutsche Guggenheim zeigt zum 10jährigen Jubiläum
Fotografien von Jeff Wall

Von Elke Linda Buchholz

Die neuen, monumentalen Fotografien von Jeff Wall kann man nicht betrachten, ohne zu frösteln. Sie als Schwarz-Weiß-Aufnahmen zu bezeichnen, wäre ein Euphemismus: Sie zeigen eine Welt, grauer als grau. Verloren warten Männer am Straßenrand, jeder für sich, die Kapuzen ins Gesicht gezogen, die Händen in den Hosentaschen vergraben. Der bedeckte Himmel lastet schwer über ihnen, so grau wie der Asphalt im Vordergrund und so grau wie das endlose Warten.

Jeff Walls Aufnahmen, die er im Auftrag der Guggenheim Foundation und der Deutschen Bank geschaffen hat, zeigen die Schattenseite des Kapitalismus. Kinder beim Kriegsspiel irgendwo im urbanen Ödland, eine heruntergekommene Reihenhaussiedlung oder Obdachlose, die vor einer kahlen Betonmauer kampieren. In diesem schwärzesten Bild der Ausstellung sind die Obdachlosen im wahrsten Sinne Randfiguren, kaum noch sichtbar in der Schwärze absoluter Hoffnungslosigkeit. Die Aufnahme wirkt wie ein dokumentarisch eingefangenes Stück Realität, ist aber im kinematographischen Großformat bis ins kleinste Detail inszeniert.

Der kanadische Starfotograf und studierte Kunsthistoriker Jeff Wall weiß um das Potential der Bilder. Bewusst stellt er sich in die Tradition eines gegenwartsbezogenen Realismus, wie ihn schon Baudelaire im 19. Jahrhundert forderte: Ein „peintre de la vie moderne“, ein Maler des modernen Lebens will Jeff Wall sein, wie Manet oder Courbet zu ihrer Zeit.

Die Ausstellung in Berlin zeigt nur neun Arbeiten, darunter drei Farbgroßdias in Leuchtkästen. Jeff Wall bezeichnet die Schau als seine bisher gelungendste Ausstellung, obwohl sie mit den umfangreichen Retrospektiven seines Werkes, die jüngst in Basel, London und New York zu sehen waren, quantitativ nicht konkurrieren kann. Doch die Deutsche Guggenheim weiß ihr beschränktes Raumangebot auch diesmal in eine besonders konzentrierte Wirkung umzumünzen. Ihr Showroom Unter den Linden ist winzig, nur ein langer, schmaler Schlauch. „Wo sind übrigen Räume des Museums?“ fragen Erstbesucher oft. Und dann bleiben sie einfach länger, schauen sich die Exponate intensiver an. Das zahlt sich aus.

Seit zehn Jahren präsentieren die weltweit operierende Guggenheim Foundation und die Deutsche Bank hier ein bunt gemischtes Ausstellungsprogramm. Legendär sind vor allem die eigens für diesen Raum realisierten Auftragswerke: Jeff Koons ballerte ihn mit poppigen Gemälden voll, Rachel Whiteread stellte den Negativabguss eines ganzes Appartements hinein. Gerhard Richter reflektierte den Außenraum durch wandhohe Spiegel ins Innere, Hanne Darboven pflasterte die Wände mit Notaten zu, Laurence Weiner machte den White Cube mit Wandschriften zum Lese- und Denkraum. Jüngst installierte die junge New Yorkerin Phoebe Washburn hier eine verrückte Fabrik, die selbsttätig echte Rasenstücke produzierte.

Die nächsten Künstler sind bereits eingeladen: Anish Kapoor und Julie Mehretu. Für die Künstler ist Kooperation mit einem so mächtigen Global-Player-Duo wie der Deutschen Bank und der Guggenheim-Foundation immer auch eine Gratwanderung zwischen finanzieller Abhängigkeit und künstlerischer Freiheit. Jeff Walls schonungsloser Blick auf die soziale Realitäten macht die Ambivalenz dieser Situation besonders scharf deutlich.

Bis 20. Januar 2008, täglich 10-20 Uhr, Do bis 22 Uhr
Katalog 22 Euro

Ausstellungshomepage mit Bildern:

http://www.deutsche-guggenheim-berlin.de/d/ausstellungen-jeffwall01.php

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG vom 8. November 2007