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ARCHIV

Subjektiv hinterm Objektiv
Der Fotograf Hannes Kilian im Berliner Martin-Gropius-Bau

von Michael Bienert


KilianVor den monoton in den Himmel strebenden Hochhausfassaden des World Trade Centers duckt sich ein altes Haus mit einer Glocke und einem Kreuz auf dem Dachgiebel. Scheinbar verlassen kŸmmert die griechisch-orthodoxe Kirche des heiligen Nikolaus im Schatten der modernen Kathedrale des Geldes und des Welthandels. So hat der Stuttgarter Fotograf Hannes Kilian das World Trade Center 1977 ins Bild gesetzt. Am 11. September 2001, zwei Jahre nach Kilians Tod, brachten SelbstmordattentŠter die Twin Towers zum Einsturz. Der Fotograf hat die Hybris gespŸrt, die das Bauwerk zur Zielscheibe machte.

Noch prophetischer wirkt ein 1971 aufgenommenes Farbfoto. Vor der New Yorker Skyline, aus der die noch unfertigen Twin Towers herauswachsen , bilden die verwitterten HolzpfŠhle eines Stegs eine zweite, dŸstere Silhouette. Sie erinnert an die berŸhmten Fotos, die Kilian vom zerbombten Stuttgart machte, aber auch an seine Aufnahmen antiker RuinenstŠdte. Kilian fotografierte mit doppeltem Blick: Das amerikanische Symbol fŸr wirtschaftliche Macht komponierte er dem Fingerzeig auf das unvermeidlich bittere Ende zusammen.

Ein drittes Foto zeigt vor dem World Trade Center die Stuttgarter Ballerina Birgit Keil. Auf dem Mittelstreifen einer New Yorker Stra§e streckt sie sich zum Himmel. Was bringt die Menschheit weiter, babylonische Turmbauten aus Stahl oder vielleicht doch der Tanz? In der Berliner Retrospektive und im opulenten Katalog kann man dem Fotografen Hannes Kilian beim Nachdenken zuschauen.

Bisher grŸndete sich Kilians Nachruhm vor allem auf seinen hinrei§enden Fotos vom Stuttgarter Ballett, die in der €ra Cranko um die Welt gingen. Doch nicht erst in den Sechzigern und Siebzigern zeigt sein Werk eine geniale Begabung, Bewegung in fotografische Momentaufnahmen zu Ÿbersetzen. Den Katalogeinband schmŸckt ein traumschšnes Tanzbild aus den Drei§igern: †ber einer Blumenwiese schweben zwei MŠdchen im Sprung, wŠhrend eine dritte im †berschlag auf den HŠnden balanciert. Alle drei sind in dem glŸcklichen Augenblick verewigt, da die Schwerkraft aufgehoben scheint. Die formale Perfektion dieses Fotos nimmt man erst auf den zweiten Blick wahr, so ansteckend wirkt seine unbeschwerte Lebensfreude.

1938, im Jahr der Aufnahme, drŸckte es eine Sehnsucht, aber sicher nicht die Befindlichkeit des jungen Fotografen aus. Widerstrebend kehrte er damals aus dem selbstgewŠhlten Exil ins nationalsozialistische Deutschland zurŸck. 1909 in Ludwigshafen am Bodensee geboren, hatte er 1931 eine Fotoausbildung in der Schweiz abgeschlossen. Noch lieber wŠre Kilian Kameramann oder Pilot geworden, aber dafŸr fehlte das Geld. Er arbeitete bei einer Fotofirma in Luzern und fŸr ein Fotoatelier in Neapel, war 1937 wŠhrend der Pariser Weltausstellung Reiseleiter und Kameraassistent in Paris, bis ihm die Arbeitserlaubnis entzogen wurde. Aus den frŸhen Wanderjahren stammen Fotos vom rauchenden Vesuv und aus Pompeji, von der nŠchtlichen Gro§stadt Paris im Glanz ihrer Lichtreklamen und von ihren Marktfrauen. Im Exil entwickelte Kilian sein besonderes GespŸr fŸr Licht und Schatten, fŸr Stillstand und Bewegung. Die eigene Handschrift entwickelte sich weniger aus einem Stilwillen als aus der Haltung zu seinem Metier. Kilian war ein mitfŸhlender Fotograf. Seine Motive involvieren den Betrachter, ohne ihn zu ŸberwŠltigen oder belehren zu wollen.

Im Zweiten Weltkrieg wurde der empfindsame Flaneur mit der Kamera als Propagandafotograf dienstverpflichtet, an die Ostfront geschickt und dort verwundet. Leider bleibt dieser Lebensabschnitt in Ausstellung und Katalog unterbelichtet: Es wŠre vertretbar gewesen, auch ein paar schwŠchere oder direkt fŸr Propagandazwecke missbrauchte Aufnahmen zu zeigen. Die erschŸtternden Fotos vom 1944 zerbombten Stuttgart entstanden heimlich und ohne Auftrag. Sie klagen nicht an und sie entschuldigen nichts. Kilian faszinierten die Menschen, die einfach weiterzumachen versuchten wie bisher. Sie verstauten ihre Toten in SŠrgen, sammelten sich um einen Mittagstisch zwischen Ruinen oder fŸhrten auf provisorischen TrŸmmerpfaden elegant gekleidet ihr HŸndchen spazieren.

Genauso unbestechlich begleitete er als Fotoreporter die Deutschen durch die folgenden Nachkriegs- und Wirtschaftswunderjahre. Kilian fotografierte die mŸden Gesichter alter Leute, die durch die WŠhrungsreform ihr Erspartes verloren, oder spielende Kinder an der Berliner Mauer - immer einer Wirklichkeit auf der Spur, die in der lauten Propaganda nicht vorgesehen war. Bereits 1960 hielte er im Stuttgarter Autoverkehr einen einsamen Passanten fest, der suchend in Richtung des Fotografen schaut. Bildtitel: ãDer letzte Fu§gŠngerÒ.

500.000 Fotos hinterlie§ er seiner Witwe Gundel Kilian, ein noch weitgehend ungehobener Schatz. Nur ein Teil wurde in Illustrierten, Zeitungen und BŸchern veršffentlicht. Der Fotohistoriker Klaus Honnef hat sich durch das Archiv gegraben und gut 300 Bilder ausgesucht, die Kilians Handschrift und Vielseitigkeit zeigen. FŸr Berlin ist die Schau im reprŠsentativen Martin-Gropius-Bau eine Entdeckung. In Stuttgart hat es schon šfter Ausstellungen mit Kilian-Fotos gegeben, allerdings noch nie eine so umfassende PrŠsentation. Im FrŸhjahr 2010 soll die Berliner Auswahl im KunstgebŠude zu sehen sein - wenn das undurchsichtige Gerangel in den Kulissen des hiesigen Kulturbetriebs doch noch zu einem guten Ende kommt. Die Witwe Gundel Kilian spricht von einer festen Zusage des Landes, auch in puncto Mitfinanzierung durch die Landesbank. Dagegen bestreitet der WŸrttembergische Kunstverein, Hauptnutzer des KunstgebŠudes, jemals eine Zusage fŸr eine Ausrichtung der Ausstellung gegeben zu haben. Also muss jetzt wohl schleunigst ein anderer Kulturveranstalter gefunden werden. Nach der ansprechenden Berliner PrŠsentation mŸssten sich die Stuttgarter Kulturinstitutionen eigentlich um die Ausstellung rei§en.


Bis 29. Juni 2009 im Berliner Martin-Gropius-Bau www.gropiusbau.de

Katalog erschienen im Hatje Cantz Verlag, 39,80 Euro

Erstdruck: STUTTGARTER ZEITUNG v. 6. April 2009