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Foto: Ausstellungskatalog (Cover)

Brücke goes Pop-Art
Bilder von Bob Dylan in Chemnitz

Von Elke Linda Buchholz

„Dallas Hotel Room“ heißt die Zeichnung: Im Zentrum ein Tisch mit einem leeren Stuhl davor, ein Papierkorb, eine Schirmlampe. Kein Mensch ist zu sehen. Auch der Zeichner selbst bleibt unsichtbar: Der hohe Wandspiegel über dem Tisch zeigt nur das leere Bett gegenüber.

Wer den Musiker Bob Dylan in seinen Zeichnungen und Aquarellen sucht, wird ihn nicht finden. Im Laufe seiner Karriere hat sich der heute 66-jährige erfolgreich sämtlichen Versuchen entzogen, ihn auf einen Musikstil, eine Persönlichkeit, eine Rolle festzulegen. Mit seinen Bildern zeigt er eine neue Volte, eine neue Facette seiner Selbst. Insider wussten schon länger, dass der publikumsscheue Singer-Songwriter gerne auch Zeichenstift und Pinsel zur Hand nimmt, allerdings bislang weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nur ein Buch mit Zeichnungen erschien vor 13 Jahren unter dem Titel „Drawn Blank“.

Jetzt feiern die Kunstsammlungen Chemnitz eine Weltpremiere: Erstmals sind 140 Originalaquarelle aus der Hand Bob Dylans öffentlich ausgestellt. Wie gelang ausgerechnet der Stadt im Erzgebirge solch ein Coup? Es war einfach noch kein anderes Museum auf die Idee gekommen, wie Direktorin Ingrid Mössinger erzählt. Sie stieß vor zwei Jahren auf das „Drawn Blank“-Buch von Dylan, und schrieb eine Anfrage an sein Management. Schon nach wenigen Tagen kam eine überraschend enthusiastische Antwort: Dylan kündigte an, statt der alten Zeichnungen eine komplett neue Serie von Arbeiten zu schaffen.

Die alten Schwarzweißzeichnungen, die 1989 bis 1992 auf Tourneereisen in der ganzen Welt entstanden waren, nahm er als Ausgangsmaterial. Er ließ sie digital auf Büttenpapier vervielfältigen und vergrößern. Dann tauchte er den Aquarellpinsel in die Farbe und kolorierte die Kopien: Zwei, drei, vier Varianten desselben Motives entstanden, ein Spiel von kräftig schillernden Kontrasten und Ausdruckswerten. Weit über dreihundert großformatige Blätter trafen schließlich in Chemnitz ein. Eine breite Auswahl davon ist in Ausstellung und opplulentem Katalog zu sehen.

So dunkel die Texte von Bob Dylans Songs oft anmuten, so klar und verständlich sind die Motive seiner Bilder. Landschaften, Straßen und Häuser, Akte, Porträts, Stilleben und immer wieder Interieurs, Blicke aus dem Fenster. Es ist das klassische Motivrepertoire der europäischen Moderne. Möblierte Innenräume in leuchtenden Farben wie von Matisse, schwungvoll umrissene Frauenkörper wie von Ernst Ludwig Kirchner, die stürzenden Linien und subjektiven Perspektiven des Expressionismus. Anklänge an Kokoschka, an die Futuristen, an Delaunay ergeben Dejà-vu-Effekte, ohne dass sich ein konkretes Vorbild dingfest machen ließe.

Hier zeigt sich: Bob Dylan ist nicht nur ein ungewöhnlich belesener Musiker, er hat auch die Bilderwelt der Moderne in sich aufgesogen. Schon als junger Mann besuchte er die New Yorker Museen, blätterte in Kunstbänden von Ägypten bis Menzel. Später nahm er Zeichenunterricht bei einem russischen Künstler. Die Treue zur sichtbaren Welt, die ihm schon ein High School-Lehrer einschärfte, behielt er bei.

Bei den in Chemnitz gezeigten Bildern kommt jedoch noch etwas anderes hinzu, und zwar durch den seriellen Charakter der Aquarelle. Mit ihrem farbigen Durchdeklinieren der Motive erinnern diese „Drawn Blank Series“ schon fast an Andy Warhols Siebdruckserien. Expressionismus im Zeitalter der Reproduzierbarkeit. So bergen Dylans Bilder wenig Überraschendes - außer dass sie eben von Bob Dylan stammen. Wären die Blätter verkäuflich, sie würden weggehen wie warme Semmeln.

Bis 3. Februar 2008. Katalog im Prestelverlag, in der Ausstellung 28 Euro

ERSTDRUCK: STUTTGARTER ZEITUNG v. 30. November 2007