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THEATERKRITIK

Blaue Spiegel
von Alber Ostermeier. Regie: Andrea Breth. Uraufführung im Berliner Ensemble am 16. Mai 2009. Mit Corinna Kirchhoff, Wolfgang Michael, Elisabeth Orth, Larissa Fuchs, Laura Tratnik.

Blutleerer Blaubart


von Michael Bienert

Die Mannsbilder auf der Bühne sehen von Spielzeit zu Spielzeit jämmerlicher aus, hört man Theaterkritikerinnen klagen, die in wachsender Zahl das Parkett bevölkern. Die einstigen Herren der Schöpfung werden jedoch nicht liebenswürdiger. Denn im Kern sind sie machtbesessene Machos und gierige Frauenverschlinger geblieben, zumindest auf der Bühne. So ein verdruckstes Exemplar, das sich schamlos an älteren Damen und naiven Landmädchen vergeht, ist jetzt wieder am Berliner Ensemble zu besichtigen.

Der Schauspieler Wolfgang Michael lässt die Schultern hängen, er stottert und hängt wie ein schlapper Sack auf dem Fußboden einer kahlen Neubauwohnung herum. Neben ihm, aber ohne Körper- und Blickkontakt, mit verschränkten Armen sitzt Corinna Kirchhoff als adrette Mittvierzigerin. Die beiden schweigen sich lange an, dann will die Frau den Schlüssel von ihm haben. Die undurchsichtige Situation klärt sich erst nach und nach im Lauf des Theaterabends: Der Mann ist Blaubart und die Frau mit den roten Stilettos seine Lebensgefährtin, die jedoch nicht wie ihre Konkurrentinnen zerhackt in einem verschlossenen Zimmer endet, sondern selber die Knochensäge betätigt, damit die Leichenteile in blaue Plastikmüllsäcke passen.

Was die beiden so treiben, erzählt die Aufführung in etwa dreißig knappen Bildern, mit Vor- und Rückblenden, die sich auch im Rückblick nicht zu einer linearen Geschichte zusammensortieren. „Blaue Spiegel“, das neue Stück von Albert Ostermeier, enthält keinen klaren Bauplan für eine Theateraufführung. Es ist eher ein Gemeinschaftswerk des Autors mit der Uraufführungsregisseurin Andrea Breth und den Schauspielern. Von einem „work in progress“ spricht die Pressestelle des Theaters, daher war kein Text erhältlich, den man mit der Uraufführung vergleichen könnte.

Traumerzählungen der Figuren mischen sich mit surrealen Bildern, ob eine Szene nur fantasiert ist oder doch auf einer anderen Realitätseben spielt, bleibt meistens in der Schwebe. Ist die ältere Frau (Elisabeth Orth), mit der sich Blaubart vergnügt, nun seine Schwiegermutter oder eine rothaarige Hexe oder beides? Und ist das Mädchen in den roten Strümpfen (Larissa Fuchs) denn nun Rotkäppchen, trotz seiner weißen Bandage um den Kopf? Das dünn bekleidete Mädchen vom Lande (Laura Tratnik), dem der sadistische Blaubart ein Auge ausbohrt, könnte ebenfalls der Märchensphäre entstammen, aber auch eine reine Männerphantasie sein.

Alles bleibt im Ungefähren, in gewolltem Widerspruch zur Scharfkantigkeit der Bilder, die Andrea Breth in dem weißen Bühnenkasten von Raimund Orfeo Voigt arrangiert. Sekundenschnell verwandelt er sich in verschiedene kahle Zimmer. Die Eleganz, mit der das Nebulöse zelebriert wird, ist mit ein Grund dafür, dass ein Zauber des Geheimnisvollen sich nicht einstellen mag. Man wartet immer ungeduldiger auf einen Schlüssel zu den Rätseln der kühl kalkulierten Aufführung und ist am Ende enttäuscht. In den letzten Szenen bejammert der Blaubart die Gespaltenheit seiner Persönlichkeit und seine Frau erzählt von ihrem Vater, der auch schon einen hohen Frauenverbrauch hatte. Ein Wink mit dem psychoanalytischen Zaunpfahl! Rätselhaft bleibt vor allem, wie ein so blutrünstiger Abend so blutleer sein kann.