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Michael Bienert


THEATERKRITIK

Die Bibel - Eine gesprochene Symphonie
, gelesen von Ben Becker. Premiere im Tempodrom am 12. Oktober 2007. Mit der Zero Tolerance Band und dem Deutschen Filmorchester Babelsberg.





Kitsch statt Kirche

von Michael Bienert

Vielleicht sollten die Kirchen künftig gepfefferte Eintrittspreise für ihre Gottesdienste erheben. Dann würden Menschen in die leeren Säle strömen, die sonst einen großen Bogen um die Sonntagspredigt machen. So wie am Freitagabend ins Berliner Tempodrom, wo sonst Galas, Show- und Zirkusveranstaltungen stattfinden. Der Schauspieler Ben Becker las aus der Bibel, schon Wochen vorher waren die fast 3000 Plätze ausverkauft.

Ein künstlerisches Ereignis hat Becker vorab versprochen, keine Missionsveranstaltung, doch die Arena des Tempodrom ist hergerichtet wie für einen Kirchentag. Als Lesepult steht eine massive Kanzel bereit, vorne drauf ist ein Holzkreuz genagelt. Das Filmorchester Babelsberg sitzt in Großbesetzung auf der Bühne, außerdem hat Beckers Rockband ihre Verstärker aufgebaut. Über allem hängen wie ein Altarbild mit Flügeln drei Videoleinwände.

Die Liturgie beginnt mit einer Musik, die sofort an „Krieg der Sterne“ oder „Also sprach Zarathustra“ denken lässt. Auf den Leinwänden sausen in Lichtgeschwindigkeit fremde Galaxien vorbei, bis die Erde ins Bild kommt. Im schwarzen Rock, dem Habit eines Bußpredigers aus dem 18. Jahrhundert, tritt Becker an die Kanzel, streicht sich die verschwitzten Haare aus dem blassen Gesicht und hebt an: „Am Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Und die Erde war wüst und leer...“

Beckers tiefe, rauchige, vibrierende Lebemannstimme erfüllt den Riesenraum, der Tontechnik sei Dank. Sie gestattet es dem Sprecher, ganz innerlich zu bleiben. Sein Timbre dringt in den letzten Winkel, so als rede der liebe Gott höchstselbst die Hörer an. Ein allzu durchschaubarer Trick. In einem richtigen Gottesdienst wäre Beckers Pathos ziemlich peinlich, wenigstens bei uns in Deutschland. In einem amerikanischen Fernsehgottesdienst läge er genau richtig. Becker spielt den Demütigen, hält sich mit beiden Händen am Pult fest und meidet den Blickkontakt ins Publikum. Nachdem der Sündenfall begangen ist und Kain seinen Bruder Abel erschlagen hat, unterbricht eine erste Gesangseinlage die Rezitation: „In the Ghetto“ mit E-Gitarre und schluchzenden Geigen, kreischender Hammondorgel und swingendem Frauenchor. Dafür gibt es Applaus.

Becker hat die Lutherbibel eigenhändig nach Lust und Laune gekürzt. Übrig geblieben sind allbekannte Sätze und isolierte Actionszenen, von der ganzen Mosesgeschichte zum Beispiel nur die Flucht durch das Rote Meer. Keine sieben Plagen, kein Tanz ums goldene Kalb. Dafür ausführlichst Delilas Liebesverrat an Samson. In eineinviertel Stunden zappt Becker sich durchs Alte Testament. Dann ist Pause. Nach Bratwurst und Bier im Foyer gehts weiter mit Mahlers „Urlicht“. Dabei stösst auch das versierte Filmorchester hörbar an seine Grenzen. „Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat´s nicht ergriffen.“

Mit maximaler Inbrunst in der Stimme gibt Becker das Vaterunser. Er verlässt wieder seine Kanzel, stolziert wie ein amerikanischer Wanderprediger über die Bühne: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“ Würden die vier rot gewandeten Goseplsängerinnen allein den Rest des Abends bestreiten, wäre er vielleicht noch zu retten.

Die Jesus-Saga in Beckers Version ist ein Sandalenfilm voller Rätsel und Wunder. Jesus war ein Revoluzzer, soviel immerhin wird klar. Dieser Kraftkerl, der die Geschäftemacher aus dem Tempel schmeißt und von der Obrigkeit gehasst wird, hat es Ben Becker angetan. Wenn er jetzt ehrlich mit sich wäre, müsste er genau so über die Bühne fegen und alles kurz und klein schlagen. Denn das Wort Gottes versinkt in kulturindustriellem Schleim. Während Becker zügig vom Abendmahl, von der Kreuzigung und Wiederauferstehung berichtet, gießt das Orchester eine schnulzigen Fast-Food-Soße darüber aus. Auf den Videowänden geht dazu quälend langsam die Sonne unter.

Man muß keine religiösen Gefühle mitbringen, um diese Verkitschung der christlichen Mysterien schauderhaft zu finden. Eine Spur Kunstverstand reicht völlig. Die Bibel hat Künstler aller Gattungen zu Meisterwerken inspiriert. Vorausgesetzt, sie nahmen ihr Metier und die Gestaltungsaufgabe ernst. Das ist hier nicht der Fall. Typologisch ist Beckers Bibelperformance ein Oratorium mit viel Rezitation und wenig Gesang. Bach oder Haydn wären nie auf die größenwahnsinnige Idee gekommen, ein Oratorium über die gesamte Bibel zu komponieren. Als Komponisten zeichnen zwei Bandkollegen Beckers verantwortlich. Deren bescheidene musikalische Einfälle sind für die Performance mit Orchester auf Cinemascopeformat aufgeblasen worden. Dabei konnte nur eine seichte Filmmusik ohne Film herauskommen, aufgemotzt durch ein paar ausgeliehene Ohrwürmer wie "Bridge over Troubled Water".

Was Becker mit diesem Abend bezweckt, bleibt nebulös. Will er nur seinen Spaß haben, oder sucht er ein religiöses Erweckungserlebnis? Becker wirkt angeschlagen und nervös, alles andere als souverän. Wie ein Armesünder, der zu Kreuze kriecht. „Die Gnade des Herrn Jesus sei mit allen!“, ist sein Schlusswort, nachdem er finster mit der Apokalypse gedroht hat: „Und aus seinem Munde ging ein scharfes Schwert, damit er die Völker schlüge...“ Mit dem Song „He´s alive“, einer letzten Shownummer, baut Becker seiner verblüfften Fangemeinde eine Brücke zum Schlussapplaus. Ach, Gott!