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THEATERKRITIK

Amanullah, Amanullah.
Regie: Frank Castorf. Premiere im Prater am 9. April 2009. Mit Rosalind Baffoe, Anne Ratte-Polle, Marc Hosemann u. a.


Aus Hulla di Bulla wird Amanullah


von Michael Bienert

Der afghanische König Amanullah war ein Potentat, wie ihn sich Amerikaner und Europäer für das Land am Hindukusch wünschen. Er führte die Schulpflicht für Jungen und Mädchen ein, wandte sich gegen die Verschleierung von Frauen und bekämpfte Schmuggel und Korruption. Für Straßenbau, Bewässerung und Elektrizitätsversorgung holte Amanuallah deutsche Experten ins Land. 1928 reiste der fortschrittsgläubige König zu einem Staatsbesuch nach Berlin. Ein Jahrzehnt nach dem Ende der Monarchie in Deutschland bereiteten Bevölkerung und Presse dem König aus dem Morgenland einen warmherzigen Empfang. Mit seinem Modernisierungskurs machte sich Amanullah im eigenen Land jedoch erbitterte Feinde. 1929 wurde er gestürzt und starb 1960 im Schweizer Exil.

Die Komödienspezialisten Franz Arnold und Ernst Bach brachten schon kurz nach Amanuallahs Besuch einen Schwank auf die Bühne, der die Afganistanbegeisterung der 20er Jahre veralberte. „Hulla di Bulla“ war ein großer Publikumserfolg. Die Verwechslungskomödie spielt in dem Berliner Palais, in dem der König untergebracht werden soll, dort aber wird gerade heimlich für einen Film gedreht. Der arbeitslose Bankangestellte Fritz Appel schwindelt sich in dem heillosen Durcheinander zum Generalkonsul von Afghanistan empor. Eine Verschwörung von Mullahs gegen den König wird aufgedeckt. Aktuelle Bezüge stecken in der alten Boulevardklamotte genügend drin, entsprechend aufgefrischt müsste sie ein krachender Ulk sein. Die Berliner Volksbühne konnte sich allerdings mit den Rechteinhabern nicht einigen, deshalb hat sie Frank Castorfs Inszenierung kurzerhand ohne Autorennennung unter dem neuen Titel „Amanullah Ammanullah“ herausgebracht.

Die Komödie passt in den Berliner Prater, ein altes Tingeltangellokal, das die Berliner Volksbühne während der Sanierung ihres Haupthauses bespielt. Bert Neumanns Bühne ist so schlicht, als gastiere dort eine drittklassige Tourneebühne, die mit ein paar alten Möbeln vor der Fototapete eines Salons auskommen muss. Nach ungefähr zwei Stunden Zimmerschlacht geht sie in Fetzen, dann dauert es aber leider immer noch eine weitere Stunde, ehe Frank Castorf ein Ende findet. Dabei peitscht er seine acht Schauspieler und den altgedienten Pianomann Sir Henry mit Hochdruck durch das Stück. Aber Tempo ist eben nicht alles, bei der Komödie mit ihren türenschlagenden Auf- und Abtritten kommt es auch auf den Rhythmus an, und die Castorfsche Veralberungsmaschine läuft nur mit stotterndem Motor.

Es wird viel geschrien, heftig grimassiert wie in alten Stummfilmen und gesungen wie in einem Kabarett der 20er Jahre. Die Damen tragen höchst elegante Kleider, damit kriechen sie unter Perserteppiche oder sinken auf die bereit stehende Chaiselongue. In der Ausstattung weist die Inszenierung auf die bürgerliche Komödienvergangenheit, in der hysterischen Spielweise auf den wilden Castorf der frühen DDR-Jahre. Einen Ausweg aus der tief in einer Form- und Sinnkrise steckenden Volksbühne weist das nicht, allenfalls die ungebrochene Motivation der Schauspieler lässt hoffen. Komödiantische Glanzlichter setzen der agile Marc Hosemann als durchtriebenes Bürschchen Fritz und Anne Ratte-Polle als hyperventilierende Privatsekretärin des frisch gebackenen Generalkonsuls, Georg Friedrich als Afghanenkönig mit Wiener Schmäh und Jorres Risse als orientalischer Finanzminister mit vielen Muskeln, aber wenig Hirn. Axel Wandtke versucht als ergrauter Geschäftsmann sein Glück bei den Afghanen, Rosalind Baffoe umgarnt den König als dunkelhäutige Prostituierte mit Berliner Schnauze. Franziska Hayner hat als Gräfin im Regierungsauftrag für das Wohl der Gäste zu sorgen. Volker Spengler bewohnt das republikanische Chaos wie ein altes Möbelstück aus Kaisers Zeiten.

„Das Theater lädt den Geist zu einer Raserei ein“, lautet einer der Sätze von Artaud, mit denen Castorf die Boulevardklamotte aufgemöbelt hat. Geistreicher ist sie dadurch nicht geworden. Die Raserei hinterlässt nur ein schales Gefühl der Erschöpfung.